Drucken –
geronnene Zeichen des Erkennens und Bekennens
drucken heisst duplizieren
lernen heisst duplizieren
lehren heisst duplizieren
wir Gerechtigkeit
ihr Demokratie
sie Aufklärung
ich Artefakte
du Charaktere
er – sie Orgasmus
I
«Die gesenkte Kehle», ihre Stimme, entfaltet Sprache – in der Resonanz andere, eigene und fremde Reizbarkeiten, die Rückkoppelung steuert ein Gedächtnis, das sich gegen das Vergessen, den Zerfall der gespeicherten Informationen stemmt, und zugleich die punktuellen, momentanen und sinnlichen Konstellationen, einmal kreiert, nicht wegbrechen lässt, die existentielle Geschwindigkeit, die ein drängendes Ambiente zwischen den Polen des Lebendigen und Sterblichen durchfährt, auftankt, und die geweckten Änderungen der Takte, Spannungen und Wägbarkeiten regelt. Hinter dem Rücken der Bedürfnisse und Erfahrungen etabliert sich eine schriftliche Tradition, um eine mündliche zu binden, sie deshalb wiederholbarer zu machen. «Das fixierte Zwiegespräch», in dessen Mittelfeld «das menschliche Wesen» lauert, lässt sicheher reflektieren. Die Kontemplation heisst «schreiben / lesen», das Gezeichnete deuten, umsetzen… Nur durch den Betrachter wächst das Erschaffene zur Perspektive, zu einer Urteilskraft und Entscheidung. Konzentriertes lockt zum Kommentar. Die
Sprache erhält sich nicht selber – man benutzt ihr Energiefeld, um den umfänglichsten oder den gekonnt-gewollten Geheimnissen auf die Spur zu helfen (sie zu jagen und zu sammeln), auch solchen des Mischglaubens und -meinens, deren Erlösung, gar Befreiung von totalitären Konstanten sie zu garantieren hat.
Der humanistische Kern eines forschen, kaum wankelmütigen Gedächtnisses spiegelt einen Horizont, der notwendige Reparaturen und Neuerungen wiederum zur Sprache bringt, sie erwirkt und befähigt. Die Sprache inszeniert die Uraufführung der Geschehnisse, Experimente und des Weggelassenen. Ihr Doppelsinn assoziiert zur
Kurve der kleinen und grossen Kosmen. Ihre dialogische Kraft reisst Akteure aus der Mitte, spielt einen möglichen Konsens oder doch Aufmerksamkeit ein. Nur der Fantasie gelingt es, die Sprache zu sprengen. Die Töne fangen Bilder auf. Gleichnisse, diesseits der Gegenwart, jenseits der Triebhaftigkeit, um zu vergleichen, was möglicherweise zerspringt.
In «starren Identitäten» zu fühlen und zu denken, ignoriert die Sinne und scheitert an der Geschichte. Prozesse banalisieren sich zur Unkenntlichkeit! Was denn scheint schon fertig zu sein? Die Kräfte fluktuieren, selbst die Sehnsucht der Harmonie –. Schemen wenden sich dem «geschwungenen» Radius der Interessen entsprechend
postulierten Themenkreise zu oder von ihm ab. Es handelt sich nicht darum, was sich erregt und bewegt, einfach zu akzeptieren, geschweige nicht zu durchleuchten, sondern zu kommunizieren, sich kommunizieren zu lassen. Das Geschäft trachtender Perspektiven verwahrlost zur Kosten-Nutzen-Rechnung, zerstäubt zum Nebel entwürdigender Sprechblasen – die Zeichen entwerten sich.
II
Drucken hat nicht nur dem Heiligen oder dem profan Aufgestockten zu dienen, obgleich es – nicht bar eines kontrollierten, auch manchmal unkontrollierten Witzes – den Respekt der Partnerschaften fordert, der «Schreibenden und Lesenden», die mittels Gedrucktem sich zerstreuen oder sich verzaubern. Die Chance zu geniessen bleibt ungebrochen. Möglicherweise ist sich freuen doch sensibler und intelligenter als Leiden.
ENERGIE
=
KREATIVITÄT
x
(LERNEN
:
LEHREN)
Drucken kommt dem gebräuchlichen Akt gleich, dem zerfurchten Gesicht der Welt einen Weg zu ebnen, über sie unterschwellig hereinzubrechen und hinauszugelangen. Eine reduzierte Fantasie, die durch Verstaubtes als das Richtige genötigt wird, verweigert sich dem Neuen, als ob ein ultimatives Ende existierte. Man bleibt in imitierenden Konventionen stecken, die sinnlos repetiert werden und verliert sich im Wirrwarr des Gemässen. Die Fantasie grenzt weder ein noch aus. Sie ist das explodierende Bindeglied zwischen einer deterministischen Realität und dem Forschenden – trotz Widersprüchlichem oder gerade deshalb.
Drucken fixiert das durch die Sinne manipulierte Fliessen auf einen Kern des Geteilten und Gefügten durch Entschleunigung, Bremsen oder Stoppen der Geschwindigkeit – Raum und Zeit werden reduziert. Ein Tropfen gebärdet sich trotz der selben Elemente nicht gleich einer Welle. Ein Prozess gerinnt zu einem Resultat, zur resonanzlosen Ruhephase des Werkes. Das Original wird folglich selbst durch die Vorstellung zum möglichen, nicht identischen Duplikat. Aufhalten, festhalten heisst nicht klonen, eher spalten oder laden sich die Ziele zu etwas
Künstlichem, zu einer unumwundenen Verehrung der Natur, auf, die sich letztlich nicht kopieren lässt – nachahmen vielleicht. Im Gefälle zwischen ihrem Erbe und ihrer Entfaltung nistet im Ozean der Möglichkeiten die Intuition. Sie sprengt den etikettierten Rahmen, ihre Zitate, Metaphern. Im verknüpften Gehirn, den umworbenen Schaltstellen des Einzelnen und der Gesamtheit schlummern ihre kreativen Säfte. Unüberlegte Urteile ihnen gegenüber gereichen nur zum Unfug. Nur die Kreativität macht Vervielfältigtes zu etwas Einmaligem. Im Zentrum menschlicher Kreise lässt es sich zwar wiederholen, schürt aber ein ununterbrochen neues Zusammenspiel. Man entfesselt es aus der Gefangenschaft des Entworfenen.
erschaffen
ruhen
bewerten
=
verpacken
laden
zerstäuben
Das Gewesene wandelt sich zum Gewordenen: zu etwas Totem oder Chemisch-Physikalischem; lebendig verhalten sich die Erschaffer des Gedruckten und folglich ihre Bewerter – ihre Verknüpfungen schaukeln sich gegenseitig auf. Man misst, prüft,wählt… Das fördert ihre demokratische Anwendung. Die exzellenten Urheber werden genannt! Aber ist es nicht der Mensch mit seiner biologischen Diversität? Seine Landkarte weist noch genügend Nischen auf, die nicht besetzt oder erschlossen sind.
Drucken – ein Akt der Gewalt –, ein freundlicher, würde man meinen, kein feindlicher, gar ein autoritärer wäre weder zu wünschen noch zu hoffen… Die Fügung und Teilung gewährt dank des Konzentrates eine Aus-ein-ander-setzung zwischen den beiden plasmatischen Schwingungen einer distanzierten Zustimmung oder Ablehnung. Fortsetzen mit sich selber – ohne festgelegte Identifikationsraster, ungebunden, mit einer natürlichen Skepsis, ohne zu verzweifeln. Die Menschheit schätzt sich über schöpferische Beiträge glücklich, die sie aus der Enge treibt und sie in der problematischen Weite der Dämmerung nicht durchhängen lässt. Solches Treiben verkraftet in seinem Schmelztigel die Magnetisierung zwischen negativen und positiven menschlichen Ladungen.
Die Möglichkeiten des Gehirns, die Masse der Kenntnisse zu speichern, scheinen gesprengt zu sein. Ein anderer Weg, etwas Gestaltetes zu zeigen – die Instrumente des Druckens – helfen das Dilemma des Erinnerns und Bezeugens aufzuheben. Man landet trotz der Gewitter und Brandungen in den verschlungenen Sälen und Galerien einer Bibliothek – Getrübtes entschlackt sich.
Äussere Bewegung wandelt sich in innere Erregung. An ihr knüpfen sich, falls der Filter, der zwischen Fremdem und Eigenem scheidet, nicht Ablehnung, sondern Zustimmung signalisiert, auf der Matrize alter Geflechte neue, um sie zu diversifizieren. Kopieren, zumal experimentelles, weil es kaum restlos gelingt, als Schlüssel zum Anderen. Zwei Kristalle der gleichen Sorte ähneln sich, unterscheiden sich aber, wenn auch nicht wesentlich gestört, durch ihre Form und ihren Gehalt – sie haben nicht im exakt gleichen felsigen Umfeld und dessen Rändern ihre Kinderstube zugebracht, ihre «charakterlichen» Lösungen glänzten durch Untreue. Die Winkelzüge und Brechungen des Gitters scheinen dieselben zu sein. Der Stoff widerspricht nicht seinen Eigenschaften.
Sinnliche Gleichgewichte – die Ereignis- und Bereinigungshorizonte – schlucken das Licht und hofieren den Geheimnissen des Schattens: handeln jedoch tut es nicht; Handeln durch Wiederholung birgt Grenzen, es reduziert sich auf fundamentale Eingleisigkeiten. Gedrucktes handelt gegen das Vakuum der Gleichgültigkeiten. Es deckt die verworfenen Schichten der Welten auf. – Welten, die sich überlappen oder durchdringen.
Silvio R. Baviera, Zürich, 2008