Konnektor-Suit

Clarina Bezzola, «Konnektor-Suit», 2000. Textil-Objekt, tragbare Skulptur. Aussen grauer Fischgrat-Wollstoff, innen fleischfarbiger Satin. Mit Arm-, Kopf- und Verbindungsröhren. Drei Reissverschlüsse. Diverse Masse. Auf Zertifikat nummeriert und handsigniert. Einmalige, auf 81 Exemplare und 4 Epreuves d’Artiste, limitierte Auflage der «Edition Heads» 2001.

Konnektor-Suit

Clarina Bezzola / 2001

clarinabezzola.com

Von «Dada» bis «Hallo-Du-Da»

Die Arbeiten von Clarina Bezzola sind fesselnd. In allen Bedeutungen des Wortes:

sie ziehen den Blick irritiert auf die seltsamen Formen, die merkwürdigen Material-Kompositionen; sie lassen die Empfindungen kreisen, nach Verwandtem oder schon Erlebtem suchen – vergeblich meistens, in den ersten Momenten.

Denn im ersten Moment lauert das Lachen des überrumpelten Betrachters. «Das kann doch nicht dein Ernst sein», sagen wir, wenn wir etwas Unglaubliches zu hören bekommen. Und dabei schwingt mit: «Hoffentlich ist es nicht ernst, sonst wäre es bedrohlich». Clarina Bezzola konfrontiert uns mit Objekten, die von einer nahezu sarkastisch direkten Ehrlichkeit und Offenheit sind. So schonungslos, dass es einem jene Regionen zuschnürt, die wir so gerne mit Nettigkeit, mit Selbstgefälligkeit, mit Ironie bis zum Zynismus zu schützen versuchen.

Die in Aeugst a.A., einem Dorf bei Zürich, aufgewachsene Clarina Bezzola zog es bereits mit 20 Jahren nach New York, um Kunst zu studieren. Die Nähe zum Dadaismus – der ja in Zürich seinen Geburtsort hatte – ist ihr ein Stück weit geblieben. Auch ihre Werke haben zunächst einmal diesen spielerischen Nonsens-Aspekt. Doch sehr schnell bricht der versteckte, ungeschminkte Humor hervor, der grimmige Wahrheiten erzählt; wie vor Jahrhunderten der Hofnarr in feiner Gesellschaft.

Die Präzision und handwerkliche Qualität, die ihren Arbeiten eigen ist, zeigt sich auch in den «Konnektor-Suits», die von der HEADS Corporate Communication AG BSW als Edition 2001 in Auftrag gegeben wurde. Dieses Objekt stellt innerhalb der langjährigen Editions-Tradition der Agentur einen Wendepunkt dar.

Es ist nicht nur ein Bild zum Aufhängen, eine Skulptur zum Aufstellen, es ist auch zum Anziehen. Es verlangt nach weiteren «Mitspielern», nach einem «Hallo-Du-Da», nach Verbindungen, nach «Konnektoren». Und in diesem Sinne ist es ein Symbol, sich immer wieder Neuem auszusetzen und es zu wagen, auch einmal die verletzliche, fleischfarbene Seite nach aussen zu kehren…

 

Beklemmungen und Bestrebungen von Clarina Bezzola

Das Definieren, das Kategorisieren und das Benennen von Dingen und Ereignissen vermittelt uns ein Gefühl von Sinn, Sicherheit und Kontrolle. Indem wir Etiketten anhängen, versuchen wir, unsere Umwelt in den Griff zu bekommen und uns ein Netz von komplizierten sozialen Beziehungen zu knüpfen und zu erhalten. In meiner Arbeit hinterfrage ich diese Idee von soliden, schutzbringenden Strukturen. Ich ergründe das Dahinterliegende: unsere Ur-Angst vor dem Verletztwerden.

Meine Objekte erzählen Geschichten über Einschränkungen und Isolation. Eine Isolation, die paradox ist. Weil wir unsere Gefühle in einem erschreckenden Masse abwürgen, und fälschlicherweise meinen, wir könnten so unser Leben konservieren und schützen.

Ich rede von Verwundbarkeit und dem Aus- bzw. Eingeschlossensein. Klar definierte Strukturen schützen und unterstützen, aber sie beengen auch die Körper, die darin festgehalten werden.

In einigen Arbeiten habe ich Formen, die einer Frauenbrust ähneln, mit einem vordergründig gemütlichen, heimeligen Blumenmuster überzogen, um das Erstickende noch stärker aufzuzeigen. Andere Objekte lassen sich wie ein scheinbar bequemes Kleidungsstück anziehen, zwängen den Körper aber so ein, dass ihm nur eine sklavische, unterwürfige Haltung möglich bleibt.

Im Laufe der Jahre habe ich die verschiedensten Arten entdeckt, wie wir Schutzschilde und Mauern um uns aufbauen. In meinem frühen Schaffen, während dem ich vorwiegend mit Metall arbeitete, drückte ich mit «amourösen» Gebilden hauptsächlich das physische Gebunden- und Beschränktsein aus.

Seit kurzem habe ich jedoch die Möglichkeit entdeckt, wie sich die Gefühle der einschnürenden Sicherheit auf einer mehr metaphorischen, übertragenen Ebene aufzeigen lassen.

Die kalten, starren Metallstrukturen haben sich gewandelt und prallen in einem widersprüchlichen Dialog zusammen mit «heimeligen» Materialien; Textilien mit wilden Blumenmustern, wie sie zum Beispiel von biederen Haushaltsschürzen stammen. Den unmissverständlich sarkastischen Unterton, der im Kontrast der Materialien und Formen mitschwingt, möchte ich in der weiteren Auseinandersetzung meines Themas – eben diesem Paradox von «Geborgenheit» und «Beklommenheit» – noch verstärken.

Auf der Suche nach anderen Künstlern, welche ähnliche Gefühle von Beklommenheit in eigenen Metaphern übersetzten, bin ich auf eine Reihe von deutschsprachigen Schriftstellern gestossen; so zum Beispiel Franz Kafka, Thomas Bernhard oder Robert Walser. Sie inspirieren mich durch ihre Art, wie sie hoffnungslos verzweifelte Situationen in groteskem Sarkasmus zu formulieren vermögen.

 

Zitate aus Robert Walser: «Geschwister Tanner»

«…Ich bewundere Ihren Witz, Sie!» Aber der Witzige lehnte die dumme …

… Bewunderung mit gut gespielter Verwunderung ab,und das war …

… ein wirklicher Witz, der jeden Gebildeten hätte freuen können … –

« …davor behüten, gegen sich selber so allzu streng vorzugehen ….

…Wissen Sie, was Ihnen fehlt? Sie müssen es eine Zeitlang ein bisschen …

… wieder gut haben… Sie werden sonst zu zart. Ich will Sie lehren …;

…Kommen Sie. Wir gehen hinaus in die Winternacht. In den brausenden …

… Wald. Ich muss Ihnen so viel sagen. Wissen Sie,dass ich Ihre arme …,

… glückliche Gefangene bin?? Kein Wort mehr,… Kommen Sie nur..» —